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NRW braucht eine Waldwende

Das angebliche Waldsterben entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als Scheitern der Plantagenwirtschaft...

Abgestorener Fichtenforst, Chance für naturnahen Wald
Abgestorener Fichtenforst, Chance für naturnahen Wald
© Holger Sticht
Stürme, Dürre und Massenvermehrungen des Borkenkäfers sind verstärkt auftretende, aus der Menschen gemachten Klimakrise resultierende Phänomene der letzten beiden Jahre. Ihre Auswirkungen werden in der öffentlichen Diskussion vielfach mit einer Waldkrise übersetzt. Seit dem Sommer 2019 werden von verschiedenen Akteuren sogar apokalyptische Szenarien eines „Waldsterbens 2.0“ gezeichnet. Tatsächlich ist zu konstatieren: eine Waldkrise gibt es bisher nicht. Allerdings gibt es eine Forstwirtschaftskrise, und die ist hausgemacht.

Bislang sind - neben Einzelbäumen - gepflanzte, gleichaltrige Bestände betroffen. Es handelt sich dabei nach naturwissenschaftlicher Definition nicht um Wälder, sondern um Forste: Baumplantagen, die meist zur Holzproduktion angebaut wurden, z.B. mit der in NRW nicht natürlich vorkommenden Fichte. Aber auch viele andere Nadel- und Laubbaumarten sind auf Standorten angebaut worden, auf welchen sie von Natur aus nicht vorkommen. Vielfach sind diese Standorte entwässert worden, Moore drainiert und Bäche vertieft worden, um einen Anbau mit den gewünschten Baumarten überhaupt erst möglich zu machen.

Buchenplantage, über Jahrzehnte hinweg kein Raum für biologische Vielfalt
Buchenplantage, über Jahrzehnte hinweg kein Raum für biologische Vielfalt
© H. Sticht
Bäume kann man aufforsten, einen Wald, in dem verschiedenartige und –altrige Baumarten mit unzähligen anderen Pflanzen- Tier- und Pilzarten zusammenleben, nicht. Diese Waldvielfalt hat in angebauten Forsten keinen Raum, spielt aber vielfach eine wesentliche Rolle für die Versorgung und Widerstandsfähigkeit der Bäume.

Neben dem Mangel an Zerfallsstadien mit Totholz ist dieser Strukturmangel der Forste der wesentliche Grund dafür, dass ein Viertel der heimischen Waldarten gefährdet oder bereits ausgestorben ist. Leitarten wie Mopsfledermaus, Grauspecht und Eremit brauchen nicht nur Uraltbäume, sondern auch natürliche Waldlücken.

Gleichzeitig vermehren sich die meisten Baumarten seit Jahren aufgrund der milden Winter und der aus Verkehr und Industrie resultierenden Stickstoffeinträge von allein so stark wie nie zuvor. Für irgendeine Aufforstung gibt es also keinen Bedarf.

Truppweise Anpflanzung von Buche unter dem Schirm der geschädigten Fichten, dazwischen verschiedene natürliche Sukzessionsstadien der Waldentwicklung
Truppweise Anpflanzung von Buche unter dem Schirm der geschädigten Fichten, dazwischen verschiedene natürliche Sukzessionsstadien der Waldentwicklung
© Holger Sticht
Ausnahmen können bei großflächiger Dominanz von nicht standortheimischen Arten wie Fichte oder Spätblühender Traubenkirsche in der Naturverjüngung bestehen, oder wenn standortheimische Arten weiträumig nicht mehr vorkommen. Diese Ausnahmen erfordern aber keine flächendeckende, sondern eine horst- bzw. truppweise, d.h. punktuell dichte, aber mit weiten Abständen zueinander versehene Anpflanzung. Diese lässt ausreichend Raum für artenreiche frühe Sukzessionsstadien der Waldentwicklung in den Zwischenräumen der Pflanzungen und ist zudem bestens geeignet, Verbiss durch Paarhuferarten wie Reh und Hirsch zu kompensieren. Bspw. auf Naturerbeflächen wird dies längst umgesetzt.

Überhaupt die Rehe und Hirsche: all unsere Waldökosysteme haben sich in Jahrtausenden mit ihnen gemeinsam entwickelt. Konflikte mit Einflüssen von Paarhufern (in Jägersprache „Schalenwild“) sind in NRW waldbaulich verursacht und damit hausgemacht. In Altersklassenforsten und Wirtschaftswäldern fehlen in der Regel Strukturen, die Naturverjüngung in naturnahen Waldökosystemen Konkurrenzvorteile verschafft: Verlichtungsstadien, auf denen sich bspw. Brombeere oder Weißdorn entwickeln können, die eine Verbissgegenstrategie und damit „Jugendschutz“ für Bäume bieten oder auch der natürliche Verbissschutz durch umgestürzte Bäume und herab gefallene Äste. Erst aufgrund dieses Mangels kommen im Falle langer Wald-Feld-Grenzen die günstigen Nahrungsverfügbarkeiten, die landwirtschaftliche Nutzflächen bieten können, und damit evtl. höhere Populationsdichten von Paarhufern mit entsprechenden Einflüssen auf angrenzende Waldflächen zum Tragen. Jagd ist also aus Waldschutzgründen unbegründet, die mit ihr verbundene Hege sogar kontraproduktiv.

Allein in NRW stellt die CDU-FDP-Landesregierung 100 Mio. EUR für Abholzung kranker Bäume und Aufforstung zur Verfügung, alles nach dem Motto „weiter wie bisher“. Dabei sind die neuen Aufforstungen angesichts der bis heute trockenen Böden zum Absterben verurteilt, spielt Totholz für die biologische Vielfalt und die natürliche Wiederbewaldung eine Schlüsselrolle. Ein politisches Versagen auf Kosten des Steuerzahlers und auf Kosten der wirtschaftlichen Zukunft der Waldbesitzer. 

Finanzielle Hilfen für betroffene Waldbesitzer müssen nach dem Prinzip „öffentliches Geld für öffentliche Leistung“ eingesetzt werden. Und zu diesen öffentlichen Leistungen dürfen nicht nur Holzproduktion, sondern gleichzeitig auch Klimaschutz und Naturschutz gehören. Dafür brauchen wir die Waldwende: weg vom Anbau und Plantagen hin zu selbständig gewachsenen Waldökosystemen.

"Eckpunkte für einen Masterplan Waldwende NRW" des BUND